Wein am Limit - Hendrik Thoma
06.04.2015 - Folge 211

It’s RAW Baby!

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Weine im Video

Name des Weines Soulfaktor Preisspanne
2004 Viré-Clessé
Gilles und Catherine Vergé, Maconnais, Burgund
Soulfaktor 4.5
10-20 Eur

Am Rande des Weinforums Burgenland habe die Französin Isabelle Legeron kennengelernt. Sie ist eine von weltweit ca. 320 „Master of Wine“ und eine der bekanntesten Persönlichkeiten der viel diskutierten „Natural Wine“ Wein Szene.

Diese junge Bewegung steht für naturbelassene Weine, die sich in erster Linie über (fast) ungeschwefelte Weine definiert. Allein in Frankreich, dem Ursprungsland dieser Machart, gibt es über 400 Produzenten.

Doch nach Isabelle’s Ansicht geht es um mehr, als nur den Schwefel (der erst seit einigen hundert Jahren verwendet wird) wegzulassen. Sie beruft sich auf die Rückbesinnung zu den Wurzeln des Weinbaus.

Die Manipulation oder besser Eingriff der Weinindustrie durch Enzyme, Zucker, Powerhefen, Schönung, Vitamine und Mostkonzentration (die Liste könnte 10 Mal länger sein) hat zu einer geschmacklichen Vereinheitlichung geführt. Nicht das Produkt steht im Vordergrund, sondern meistens seine konsumgerechte Machart. „Früher war bestimmt nicht alles besser“, sondern Isabelle geht um die Erhaltung von Traditionen und einer Rückbesinnung auf entschleunigte natürliche Verfahren und Anbau. Mir persönlich würde der Arbeitstitel „Slow Wine“ besser gefallen. Denn jeder Wein ist mehr oder weniger ein „Natural Wine“ oder auch nicht. Weinbau ist bereits ein Eingriff in die Natur. Doch wo soll diese Debatte beginnen? Ich habe es von vielen Spitzenwinzern immer wieder und in den letzten Jahren noch häufiger gehört: Ein großartiges Produkt entsteht im Einklang mit der Natur und nicht gegen sie.

Es gibt bereits eine Menge sehr gute fehlerfreie und wohlschmeckende „Naturweine“, die den Kritikern dieser Bewegung das Wasser abgraben. Doch neben vielen schlecht und unsauber hergestellten „Naturweinen“, sind auch eine Menge konventioneller belangloser und fehlerhafter Tropfen im Umlauf.

Eine junge Bewegung lockt naturgemäß viele Scharlatane und weniger Begabte an. Für die einen ist es ein neuer Vermarktungsweg, andere leben ihren krassen Fundamentalismus aus. Das gibt den Kritikern des „Natural Wine“ genügend Raum für berechtigte Zweifel an der Wahrhaftigkeit dieser Bewegung. Die Spreu wird sich erst noch vom Weizen trennen müssen. Ich bin mir sehr sicher, diese Debatte wird sich in den nächsten Jahren weitgehend relativieren. Solange die Weine besser werden. Doch dafür muss der Dogmatismus auf beiden Seiten aufweichen und die Gespräche sollten in ruhigerem Fahrwasser stattfinden. Am Ende geht es nicht um den Ego der Protangonisten, sondern um ein tolles Produkt.

Interessanterweise hat sich einer schon längst entschieden und dieser beginnt sich für die Richtung immer mehr zu interessieren: der unbefangene Konsument. Die Nachfrage steigt stetig auf kleinem, dafür wachsendem Niveau. Am 17. + 18. Mai wird in London die Fachmesse „Raw“ stattfinden, deren Mitbegründerin Isabelle Legeron ist. Es werden über 150 Produzenten und mehrere tausend Besucher erwartet. Auch in Deutschland wird bereits nach einem passenden Standort gesucht.

„Natural Wine“ ist eine der großen Herausforderungen, denen sich die Weinbranche stellen muss. Wie offen sind wir dafür und wie definiert sich künftig diese Kategorie? Laut Isabelle werden der Markt und die Kunden das selbst entscheiden.

Der 2004er Viré-Clessé von Gilles und Catherine Vergé stammt aus einer kleinen 1 Hektar fast 100 Jahre alten Chardonnay Parzelle. Die isolierte Lage befindet sich relativ hoch auf 300 Meter über NN und produziert perfekt, reife Früchte. Er vergärte 2 Jahre und wurde für 4 Jahre in einem großen Fass ohne Bewegung gereift. Danach reifte er für einige Jahre auf der Flasche weiter. Ein tolles Erlebnis, mit einem gelbfruchtig, nussigen Aroma mit einer puren, cremig-weinigen Textur. Dieser Wein ist ein großartiges Beispiel, dass ein ungeschwefelter „Natural Wein“ sehr gut reifen und zulegen kann.

Kommentare

9 Kommentare zu “211. Folge Wein am Limit – It’s RAW Baby!

    1. Hi Axel, das ist ein sehr gutes Buch geworden mit aktuellem Blick auf die Szene. Sind auch einige WaL Winzer drin wie Gut Oggau, Pearl Morisette und Julien Saunier. Viele Grüße, Hendrik

  1. Wieso eigentlich Folge 160?

    Aber jetzt zu den wichtigen Dingen: Ich habe noch nicht so viel „Natural Wine“ im weitesten Sinne gekostet, aber das was ich probiert habe, war für meinen Geschmack eine echte Erweiterung meines Geschmackshorizonts und hat ungemein viel Spaß gemacht. Werlitsch, Claus Preisinger, Foradori und Peter Jakob Kühn sind da jetzt nur ein paar Namen, die ich nennen möchte. Auf dem Etikett des „Landgeflecht“ des letztgenannten Winzers steht übrigens: „Wein im ursprünglichen Sinn“, was ich recht treffend fand. Gerne mehr davon, bis jetzt wurde ich nicht enttäuscht, obwohl ich auch schon Weine hatte, die von offizieller Seite als fehlerhaft bzw. untypisch abgetan wurden. Egal: die Ankermühle wartet schon…

  2. Sehr guter Beitrag, speziell das was im schriftlichen Teil steht gefällt mir gut. Leider hat Natural-Wine hier in Deutschland immer noch einen sehr schweren Stand. Das Interesse nimmt aber seitens der Konsumenten immer mehr zu, soweit ich das beobachten konnte. Isabelle Legeron polarisiert sicherlich mit ihren Ansichten, der Erfolg von RAW gibt ihr allerdings Recht. Leider ist das Video so kurz geraten, ich hätte gerne noch mehr von ihr gehört.

    Cheers
    Marc

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