Wein am Limit - Hendrik Thoma
18.08.2015 - Folge 2

Sind wir nicht alle ein wenig naturbelassen?

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Benjamin Mayr arbeitet beim Wiener Weinhändler del Fabro und gehört zu meinen passionierten Weinfreunden in Österreich. Wir hatten diese Folge schon seit einiger Zeit geplant, ohne zu wissen was wir genau machen wollten. Nun hat er mich vor ein paar Tagen darauf gebracht. Das Thema naturbelassene Weine wird bei unserem Nachbarn immer wichtiger, während es hierzulande die meisten Weintrinker kalt lässt. Deswegen habe ich Ben überredet Weine von den bekanntesten und besten Winzern Österreichs mitzubringen die sich mit Thema aus voller Überzeugung auseinandersetzen.

Um es richtig zu stellen, es gibt auch in Austria genügend Vorbehalte gegenüber dieser Entwicklung. Der Unterschied ist, daß sich einige der renommiertesten Betriebe den Naturweinen schon seit einigen Jahren angenommen haben. Hierzulande gibt es eine Menge vehemente Kritiker, die Ihr Gift verspritzen, sollten sie nur darauf angesprochen werden. Meistens aus Unkenntnis und Angst vor dem Neuen, oder weil sie ihr etabliertes Geschäftsmodell bedroht sehen. Die Verhinderer sitzen überall fett und behäbig im System.

Zur Klarstellung: es gibt genau soviel schlecht gemachte, langweilige konventionelle Weine, wie es auf der anderen Seite Kompostweine mit fauligen Aromen auf Seiten der Naturweinwinzer gibt. Bei jeder Entwicklung gibt es immer Mitläufer, aber die Guten werden sich wie die Spreu vom Weizen trennen. Einige haben es längst getan und andere arbeiten bereits seit Jahrzehnten (z.B. Leroy, Emilio Pepe) so, ohne ihre Philosophie je an die große Glocke zu gehängt zu haben.

Ich kann mich auf jeden Fall, nach einigen Anlaufschwierigkeiten für diese dreidimensional duftenden Weine begeistern. Grundlage ist ein präziser Ausbau und keine Fehlnoten. Ich finde das Spektrum und die angenehme Trinkigkeit dieser Weine sensationell. Sie sind gehaltvoll, schmecken trotzdem leicht und verfügen über ein vielschichtiges Bukett. Auch in der Kombination mit Speisen können sie grandios sein. Der Verbraucher kennt diesen Geschmack nicht und deswegen wird es noch einige Zeit dauern bis er sich etabliert.

Weiterhin gibt es Definitionsschwierigkeiten für „Naturweine“, aber den Ball sollte m.E. nach flach gehalten werden. Die vielen -teilweise dogmatisch geführten- Debatten sind auf alle nicht hilfreich und wie häufig sind viele gute Dinge zerredet worden, bevor sie überhaupt eine Chance hatten. Entscheiden wird am Ende einer: Der Verbraucher und die, die sich ändern können oder es auch wollen.

Ich werde mich auch künftig aus den Debatten raushalten und meinen Geschmack entscheiden lassen. Auf jeden Fall bin ich von den besten Weinen dieser neuen Kategorie überzeugt, genauso wie ich konventionelle Weine schätzen. Sie sind eine Bereicherung und Inspiration für die Branche.

Der Neuburger wächst rund um Wien und ist ein autochthones Gewächs. Sie ist nicht besonders aromatisch, kann sich aber sehr gut entwickeln. Mich erinnert sie an Burgunder, insbesondere Chablis. Auf jeden Fall ist der Neuburger eine unterschätze Sorte mit Potential. Mit dem Burgenländer Gernot Heinrich hat die Szene einen der bekanntesten Winzer Österreichs als ihren Fürsprecher gewonnen. Mit den Jahren ist er vom konventionellen zum biodynamischen Weinbau gewechselt. Nun hat er diesen auf den Stielen und Stengeln vergorenen Weißwein, unfiltriert und ohne zusätzlichen Schwefel abgefüllt (in 2014 etwas SO2). Gereift wurde er im großen Eichenfass. Während der noch etwas jugendliche 2014er noch sehr kompakt daherkommt, zeigt sich der 2013er in voller Pracht. Fruchtig-herbe Aromen wie Grapefruit und Apfel, weiße Blüten, Mineralien und Gewürze finden sich in diesem komplexen Stoff. Die goldene Farbe hat noch reichlich grünliche Reflexe und die Viskosität ist trotz der 12,5 Volt cremig angenehm und wird dabei unterstützt von einer feinen Säure. Alles in allem ein herrliches Erlebnis, das neue Geschmackshorizonte eröffnet. Der 2014er ist etwas leichter, eleganter und es finden sich Aromen von Schießpulver und Hefe in der Nase. Vielleicht ist er im ganzen mehr konventionell in seinem Auftreten. Er erinnert auf alle Fälle etwas mehr an gelernte Geschmacksmuster. Ich würde sagen, warten wir es ab. Auf jeden Fall gibt es jahrgangsbedingte Unterschiede und das ist gut so.

Beim 2005er Grünen Veltliner „Minimal“ von den Altmeistern, der Familie Triebaumer aus Rust am Neusiedlersee gekeltert, war ich hin und weg. Dieses Weingut gehört zu den traditionsreichen Betrieben Österreich und ihre Weine sind legendär. Dieser minimal geschwefelte Wein reifte 7 Jahre im Fass und zwei weitere auf der Flasche. Das Aroma von Zitrusfrüchten, Quittengelee und Kräutern wird geschmacklich getragen von einem intensiv-salzig-mineralischem Geschmack der nicht enden will. Für mich ist das ein perfekter Wein, der ganz genau das widerspiegelt was Naturweine können: sie sind individuell und nicht dafür gemacht worden dem Markt, oder einem Konsumentenmuster zu gefallen. Hier wird in Zeiten geschmacklicher Gleichschaltung vom Kunden etwas verlangt das Seltenheitswert hat: Sich einzulassen. Dieser „Maximalstoff“ ist eine angenehme und gekonnt interpretierte Ausnahme zur Regel. Mehr davon!

Kommentare

9 Kommentare zu “228. Folge – Sind wir nicht alle ein wenig naturbelassen?

  1. Schöne Fortsetzung, zwei klasse folgen mit spannendem Thema. Zu den Gerbstoffen: wenn es gut gemacht sind können Gerbstoffe auch gern in Weißweinen platziert werden. Wenn da so spannende Weine bei rum kommen gibt es hoffentlich bald mehr davon…. @Hendrik: weiter so! und auch mal laut… wenns sein muß ;-)

  2. Man kann das eine gut heißen, ohne das andere verteufeln zu müssen. Ich finde die ganze Naturwein-, Orange-, Amphore- etc. etc. -Entwicklung insgesamt sehr spannend und bereichernd, aber auch bei den ganz traditionellen Weinen werde ich immer wieder auf’s Neue überrascht. Ich will beides nicht missen oder da irgendeine Front aufbauen. Inspiration hat in allen Bereichen des ambitionierten Weinbaus seinen Platz.
    Gerbstoffe? Klar, man darf aus meiner Sicht alles (natürliche, ich denke, ihr wißt, was ich meine) machen, was letztlich zu tollen Weinen führt. Mal mit, mal ohne, die Vielfalt bestimmt den Genuß des Lebens…

    1. Damit ist eigentlich alles gesagt… man sollte sich keinem (Wein)Thema völlig verschließen oder dagegen gehen. Es sollte vielmehr eine Inspiration sein. Und zu den Gerbstoffen kann ich auch nur sagen „wenn’s schee macht“ und der Wein gefällt dann gehören die da auch rein.

  3. Hallo erstmals. Nun will ich auch meinen Senf zu diesem Thema dazugeben.

    Was ist Bio, Demeter, Orange wine, naturbelassener Wein?

    Ich bin der Meinung, dass das Wort BIO überstrapaziert wird. Nur die wenigsten Konsumenten wissen den unterschied zwischen „herkömmlicher“ und biologischer Landwirtschaft. Nur weil BIO drauf steht, heißt es nicht, dass eine Pflanzen ausgesetzt wird, dann kommen noch ein paar gesunde Bäumchen und Sträucher dazwischen und dann erntet man ein paar Monate später die Früchte. Mitnichten.
    Es dürfen genauso Chemikalien eingesetzt werden, (die meisten sind sicher „gesünder“ für die Umwelt), oder einfach nur in geringeren Dosen.
    Nur weil BIO drauf steht, muss es nicht heißen dass BIO drinnen ist. Auch für Bio-Bauern gibt es Möglichkeiten und Tricks, diverse Zertifkate und und Überprüfungen zu überstehen. (im Fall des Falles, dass doch nicht alles BIO ist)
    Wäre auch nicht schon die Aussetzung der Weinstöcke, der erste Eingriff, gegen die Natur? (vom Ausschneiden der Trauben gar nicht zu reden) Ich finde auch das Wort naturbelassen verwirrend. Wo fängt es an und wo hört es auf.
    Drum finde ich den Weg bewundernswert, sich nicht gleich den das Bio-Etikett umzuhängen, sondern „eigene “ Wege zu gehen. Und 7+2 Jahre einen Wein im Keller zu langern, bevor er in den Verkauf geht ist „eigen“.

    Der Winzer muss wissen, was er von seinen, Stöcken, Rebsorten, Lagen herausholen kann. Im Endeffekt muss es einfach schmecken. Es liegt auch am Winzer, ob er z.B. maischvergorrene Weißweine herstellen kann und will. Wenn man von einer Idee nicht selbst überzeugt ist, dann kann das auch nichts werden. Nur einem Trend hinterherhecheln ist ja auch Quatsch.
    Wenn es ohne Einsatz von Stoffen gelingt, die für andere Organismen schlecht sind, Landwirschadft zu betreiben, dann finde ich das super.
    Man sollte beide Richtungen nicht verteufeln bzw als das Wahre und Einzige darstellen.

    Durch immer besser gewordene Kellertechniken haben sich die Weine auch geschmacklich angeglichen. Jetzt wird wieder ein neuer- alter Weg gesucht, andere Weine zu produzieren.
    Ich bin der Meinung, dass beides eine Daseinberechtigung hat und den Weg zu den Kosumenten finden wird.

    Ich werd gleich einmal nächste Woche bei der Bezugsquelle vorbei schauen und mir diese Weine mitnehmen.

    1. Ich kann nur zustimmen, daß speziell mit BIO viel Schindluder getrieben wird. Selbst wenn an einem Wein alles tatsächlich BIO ist, kann es immer noch die letzte Plörre sein. Für den Geschmack ist BIO jedenfalls kein geeignetes Qualitätssiegel. Eher im Gegenteil. Mich erreichte neulich mal eine Flasche mit insgesamt 6 mehr oder weniger großen BIO-Siegeln. Der Geschmack war nicht mal so lala, es war einfach bodenlos. Aber Hauptsache BIO…

  4. Ich habe mich mit diesen Weinen nocht nicht näher beschäftigt. Ehrlich gesagt war auch etwas voreingenommen… Die Neugierde ist geweckt! Schöner 2 Teiler mit nem sympatischen Gast! Greets

  5. Schöne Doppelfolge und ein sehr sympathischer Gast (irgendwie mag ich die Wiener ;) ).
    Zur Frage hab ich keine fundierte Meinung – hab schon recht schöne und recht gruselige Weißweine mit Gerbstoffe getrunken – mit oder ohne ist für mich persönlich kein Qualitätsmaßstab.
    Meine Meinung zum „Naturwein“ im allgemeinen und zum deutschen Weinmarkt im speziellen ist, dass es diese Art von Weinen schon sehr lange in sehr guter Qualität gibt – Clos Rougeard, Pierre Overnoy, Nicolas Joly um nur ein paar wenige zu nennen. Das diesen tollen Winzer gute (und auch weniger gute) Nachahmer folgen ist eine gute Sache. Das es für diese Weine eine „Schublade“ braucht, ist eigentlich unnötig. Das daraus ein „Trend“ wurde und der in der deutschen Weinbranche 3 bis 5 Jahre später angekommen ist, wundert mich irgendwie nicht. Irgendwann ist auch der dreihundertfünfzigste neue Jungwinzer aus Rheinhessen nicht mehr so interessant und es braucht halt ein neues Borstentier, das durchs Dorf getrieben wird ;) .
    Wenn der „deutsche Weinkonsument“ neben dem Kriterium „schmeckt mir oder schmeckt mir nicht“ und dem Preis noch den An- und Ausbau eines Weins und die Art wie der Winzer mit seinen Ressourcen umgeht in seine Kaufentscheidung einfließen lässt, finde ich das in unserer „Geiz ist geil Kultur“ sehr begrüßenswert. Das gilt auch für alle anderen Lebens- und Genussmittel.
    Zusammenfassend: Winzer die verantwortungsvoll mit der Natur und dem Konsumenten umgehen sind gut. Vielfalt und Abwechslung sind gut. Wirklich gute Winzer und Weine brauchen keine Schublade, kein Marktgeschrei und keine Revolution um gut zu sein.

  6. hallo hendrik,
    hast ja recht – auch ich sehe mehr beiträge als kommentare zu schreiben – asche auf mein haupt…
    aber zum thema – jetzt nicht burgenland – die vorgestellten weine habe ich – noch – nicht getrunken.
    im mautern war ich allerdings und hatte das glück einige schöne alte flaschen mitprobieren zu dürfen.
    auch den angeblich ersten 100punkte P wein. ein glück sowas trinken zu dürfen.
    wie ben ja richtig sagt, warum soll ich was anderes trinken wenn diese weine besser schmecken.
    wenn die weine 10 oder mehr jahre im 5000 liter fass auf der hefe liegen schmecken sie einfach
    das „problem “ dabei ist m.e. die ökonomie – wer kann sich´s leisten die verschiedenen jahrgänge
    jahre und jahrzehnte lang im keller liegen zu lassen…

    freuen wir uns auf ein paar flaschen mehr dieser art…und vor allem auf weiter beiträge und gäste dieser qualität
    bravo hendrik , bravo benjamin !

    harald

  7. Hallo Hendrik – Auch ich gehör zu denen die fast alle Folgen sehen, aber nur sehr selten einen Kommentar schreiben. Versuche mich zu bessern.
    Ich fand diese beiden Folgen sehr Interesant und habe mir die Weine bereits besorgt. Werden demnächt im Rahmen eine kleinen Weinrunde mit Freunden probiert.
    Wir sind schon alle sehr gespannt.
    Freue mich auf weitere spannende Beiträge und Gäste!
    Gruß Harry

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