Wein am Limit - Hendrik Thoma
16.07.2012 - Folge 37

Toskanische Träume

Weine im Video

Name des Weines Soulfaktor Preisspanne
2008 Gagliole
Antico Podere Gagliole, Colli della Toscana Centrale
Soulfaktor 5
10-20 Eur
2010 Rubiolo
Gagliole,
Soulfaktor 4
10-20 Eur

Die Toskana ist eine der wichtigsten und bekanntesten Weinregionen Italiens, ja sogar der Welt. Eine postkartenartige Landschaft, die sich dem Betrachter hügelig und zerklüftet mit Zypressen und Pinienhainen präsentiert. Dieses ländliche Idyll hat auch Investoren und Aussteiger aus aller Welt dazu beflügelt, sich den toskanischen Lebenstraum zu sichern. Es ist viel Geld geflossen in den letzten Jahren.

Viele Verbraucher, aber auch Profis, unterschätzen dabei die Größe und Vielfältigkeit des Anbaugebiets mit seinen unendlichen Subzonen. Zum einen wird es geprägt durch das relativ kühle Höhenklimas des Apennins, dem wichtigsten zentralen italienischen Gebirgszug, zum anderen durch das warme mediterrane Klima des tyrennischen Meers. Hier findet sich die bekannten Verdächtigen und großen Namen, die in der Tradition der Bordeauxverschnitte ihre Weine keltern.

Auch der Rebsortenspiegel des Chianti Classico hat sich in den letzten 30 Jahren stark internationalisiert, d. h. dem modernen Geschmack angepasst. Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah sind mittlerweile ein fester zugelassener Bestandteil (bis 15 %) der Cuvée. Darüber hinaus ist der Einsatz von französischem Eichenholz, dem Barrique, stark verbreitet. Ein Wein, der als einer der ersten das Feld dieser modernen Chiantis anführte und am Markt extrem erfolgreich wurde, ist der Tignanello. Diesen Wein, aus dem Hause Antinori, gibt es schon seit den 70er Jahren und ist einer der großen Markenweine Italiens. Seinen Anfang nahm er als Tafelwein, Vino da Tavola, weil er mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht konform war. Doch das ist mittlerweile Schnee von vorgestern, und für den Tignanello wurden eigene, neue gesetzliche Statuten geschaffen.

In den letzten Jahren ist es zu einer wahren Glaubensfrage um das wahre Image des Chianti Classico sowohl unter Kennern und Produzenten gekommen. Soll er reinsortig aus der einheimischen Rebsorte, dem stark säurehaltigen Sangiovese, Blut des Jupiters, gekeltert werden? Darf oder muss man ihn mit anderen hellfarbigen autochtonen Sorten wie Cannaiolo oder Mammolo verschneiden? Soll Chianti nur in großen neutralen Fässern gereift werden, um den (für sie, die Kritiker) störenden Einfluss von den stark getoasteten (ausländischen!) Barriques zu eliminieren?

Die Wahrheit liegt für mich in der Mitte. Denn ohne den großen Innovationsschub in den 80er Jahren hätte es keine qualitative Revolution in der Toskana gegeben. Sicherlich, der Trend geht wieder zu mehr Regionalität und Authentizität. Kein Grund, das Vergangene zu verteufeln. Das Wort Revolution beinhaltet auch das Wort Evolution.

Das hochgelegene Weingut Gagliole, das dem Schweizer Bankier Thomas Bär gehört, ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich beide toskanischen Stilistiken gefühlvoll miteinander vereinen lassen. Die Zugabe von 10 % Merlot in diesem Chianti Classio runden das Geschmackserlebnis wunderbar ab. Die Gegend um Gagliole ist eine der besten Subregionen für Merlot, die hier nicht marmeladig und überreif schmeckt. Deswegen passt sie wunderbar in die Cuvée, sorgt für animierende Frucht und lässt dem Sangiovese seine frische, würzige Eigenheit. Ein wirklich eleganter Chianti Classico, der mir richtig Freude macht und authentisch im Glas nach Kirschen, getrockneten Kräutern und Gewürzen duftet. Störenden, überstarken Vanillinduft von neuem Holz findet man hier nicht. Ein klasse Alltagswein, der sensationell zu rustikaler Küche passt.

Der Gagliole ist ein anderes Kaliber und ein großer Wein der hohen Toskana. Es befinden sich in ihm 10 % Cabernet Sauvignon, und die Cuvée ist teilweise in neuem französischem Eichenholz behutsam gereift. Wie ich finde, ein absolut ausgewogenes Weinerlebnis, das viele berühmte und noch teurere Namen in die Schranken verweist. Der Cabernet, der sonst schnell dominiert, hält sich angenehm zurück und gibt dem Stoff nur etwas mehr Dampf, Farbe und Kraft. Ein toskanischer Traum, der Vergangenheit und Moderne gekonnt miteinander verbindet. So geht‘s!

Kommentare

21 Kommentare zu “Folge 37 : Toskanische Träume

  1. http://de.wikipedia.org/wiki/Chianti_%28Wein%29
    „Der klassische alte Chianti dagegen war ein fruchtiger und überdies nur relativ kurz lagerbarer Wein. Nur noch sehr wenige Winzer fertigen diesen traditionellen Chianti als Auftragsarbeit für Luxusrestaurants.“

    Hätte mich ehrlich gesagt mehr interessiert. Vor allem was so schlecht an diesem traditionellen Stil ist, dass er für in Bordeaux abgeguckte Weine fast abgeschafft wurde. Zählt Haltbarkeit und französische Stilistik mehr als ursprüngliche regionale Tradition? Schade!

    Und was ist ein italienischer Fußballer-Wein? Hab bei Google wahrscheinlich die falschen Suchwörter eingetippt, was müsste ich denn da mal als Suchbegriff hernehmen?

  2. Sehr schöner Beitrag, Hendrik Thoma.

    Italien hat weinseitig immens viel zu bieten. Kenne mich als Wein-Laie bislang in Italien und anderswo immer noch zu wenig aus, aber ich würde trotzdem die These wagen, dass Italien das ob seiner Vielfalt und Qualität am meisten unterschätzte Weinland ist. Allein die Vielzahl der Rebsorten und DOCs ist atemraubend.

    Die Toskana ist wunderbar, auch ich lasse mich gerne von der „deutschen Italiensehnsucht“ mitreißen. Auch gehört für mich zum Erleben eines Luxusprodukts – und ein solches ist Wein jenseits der Supermarktregale ja meist – das Drumherum dazu. Eine schöne Landschaft bzw. eine Reise durch diese hebt ungemein die Empathie für einen Wein. Wein ist eben nicht nur ein Geschmacks- und Geruchserlebnis sondern Kopfkino. Wer im Nachhinein bei Rheingauer Riesling an goldene Rebzeilen vor alten Gemäuern im Rheintal, bei Gigondas an die schroffen Dentelles und den warmen Wind an der Rhone oder bei Vino Nobile an die sanften Hügel und die herzhaften Gerichte der Toskana denkt, hat nochmal mehr davon… erinnert man sich dann noch an den sympathischen Winzer hinter dem Produkt ist die Sache rund.

  3. Toller Beitrag! Trifft genau meinen Geschmack. :-)
    Vielleicht sowas in der Art auch ein Mal mit spanischen Weinen? Wäre toll! :)

    Grüße aus Stuttgart
    Marc

  4. Hallo Hendrik,

    wieder einmal ein tolles Thema. Das schöne ist, dass ich bei deinen Beschreibungen immer eine genaue Vorstellung davon habe wie der Wein schmecken würde oder wird. Der Soul-Faktor ist da nur ein zusätzliches Indiz und macht die Sache rund. Also mach weiter so du cooler Hund.

    Ach, noch ein Anliegen.. Ich frag mich schon seit vielen Sendungen woher die ganzen Kisten in der Bude kommen und was du damit machst, Deko? Du kannst es ja mal in einer Sendung ansprechen. Dann geht mir wahrscheinlich voll einer ab.

  5. Lieber Hendrik,

    tja…“mehr Spaß im Glas“!!! „Mit WaL garantiert“ würde ich sagen. Deine Art Weine zu beschreiben, bzw. komplexes Weinwissen in einfache Worte zu fassen wird von Folge zu Folge faszinierender. Weiter so..das ist ganz großes (Wein-)Kino!!!

    Nun, leider wird die Toskana auch hier in Italien selbst oft verkannt. Einerseits die überteuerten „Super-Tuscans“ (mittlerweile in Italien mehr und mehr in Verruf geraten), andererseits die billige Chianti-Plörre für 1,99€ ausm Supermarkt.
    Doch in der Toskana passiert etwas!!! Man geht wieder weg von dieser internationlisierten Stilistik. Bekannte Winzer wie Barone Ric…. etc die stehts diese „klassische“ Linie gefahren sind, gelten nun wieder als Vorreiter für eine „Toskana im Umbruch“. Hoffentlich gehts das auch so weiter.

    In diesem Sinne
    Viele Grüße aus Südtirol

    Johanens

  6. Hallo Hendrik,
    Superthema. Mit Chianti hat bei mir das Weintrinken angefangen, allerdings mit Supertipps vom italienischen Inhaber eines Minidelikatessengeschäftes in Franken. Den Rubiolo 2008 habe ich bereits probiert und ich fand ihn auch ziehmlich gut zum Perlhuhn..
    Ich kann nur manche Kommentare bezüglich des sogenannten alten Chiantityps nicht verstehen. Die meisten waren billige Massenware in Korbflaschen und wahrscheinlich das Richtige für voluminöse Tedesci der ersten Fresswelle auf Italienrundfahrt.

    Die richtige Revolution kam ja dann eher in den 70ern durch Aussteiger,bzw. Quereinsteiger, die ihr Geld in der Industrie gemacht hatten (z.B. Castelare, Volpaia) oder Italo-Western im Falle von Rocca della Macie und dann eine neue Chiantirichtung prägten. Traditionelle Häuser wie Antinori oder Biondi-Santi bein Brunello waren ebenfalls maßgebend.

    Die Orientierung an Bordeaux war natürlich unheimlich wichtig um den Gebrauch von Barriques und moderner Kellertechnik einzuführen. Außerdem finde ich, man sollte die etwas wuchtigeren Roten nicht so verdammen. Viele interessante Cuvees aus San Giovese und französischen Rebsorten, Brunellos oder auch Vino Nobile.

    Falls wirklich Sassicaia oder Tignanello mit Fußballerwein gemeint sein sollten, dann bin ich aber auch der beschriebene Typus von Weintrinker. Ich habe das Glück beide schon mehrfach getrunken haben zu dürfen und war begeistert.

    Außerdem bin ich auch der Meinung, dass Wein kein Luxusprodukt, wie hier in manchen Kommentaren behauptet, sondern ein Lebensmittel ist. Man kann nicht jeden Tag ein Rinderfilet vom fränkischen Weidevieh essen, sondern manchmal auch Erbsensuppe. So ist das auch mit dem Wein und das können wir sehr gut von den Italienern lernen.

    1. Apropos, „Erbsensuppe“ den hier hab ich irgendwann mal, schon lange her, mal probiert und fand ihn ganz angenehm trinkbar, nichts besonderes, aber OK für mich:
      http://www.discounter-archiv.de/de/archiv/ALDI-Nord/2012-05-07/Rosso-Toscano-Indicazione-Geografica-Tipica/896756/

      Im weiter oben zitierten Wikipediabeitrag ist die Rede von wenigen Weinherstellern die für Luxusrestaurants den traditionellen, nicht lange haltbaren Chianti in der traditionellen Bastflasche herstellen. Ist das nur Folklore und Touristen-Schnickschnack?

      Andererseits lese ich, dass erst ab 1940 die Zusammenhänge begriffen wurden die bei der Weinherstellung von Bedeutung sind. Namentlich soll ein Wissenschafltler namens Emile Peynaud dazu beigetragen haben. http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89mile_Peynaud
      „Zu Beginn der 1940er Jahre war der korrekte Ausbau des Weins häufig ein Zufallsprodukt, da die Zusammenhänge der verschiedensten Parameter noch nicht verstanden wurden. Seine Arbeit konzentrierte er auf vier Teilaspekte des Weinbaus:“

      http://www.youtube.com/watch?v=LBkR_sUnHjw
      Ab 4:30 erläutert Piero Antinori was zu Beginn seiner Karriere im Chianti los war. Ab 5:40 fällt der Name Emile Peynaud

      1. Tch glaube der Name der Flasche „fiasco“ sagt schon viel aus und jeder hat seine Weinvergangenheit.
        Außerdem was soll der Ausdruck „typischer Chianti“. War immer eine Cuvée, zum Teil auch aus Weißweintrauben. Man unterscheidet ja auch verschiedene Chiantizonen.
        Ich empfehle Dir eine Serie von Christian Rischert aus den 80er Jahren: „Die Weinmacher“ Hier gibt es einen Superbeitrag über die Toskana und ihre Weine.

        Das mit Herrn Peynaud stimmt schon. Ich finde es auch immer lustig, wenn über die hohen Rieslingpreise zu Beginn des 20.Jhd. geredet wird und dabei übersehen wird, daß dieser meistens auch eine größere Portion Silvaner enthielt. Einfach um den Ertrag abzusichern, da Silvaner als eine sichere Rebsorte galt. Der ganze reinsortige Weinausbau ist keineswegs so alt, wie uns immer vermittelt wird.

        Auch waren die Preise für Spitzenbordeaux in den 30er Jahren so niedrig, dass manche Spitzenwinzer sogar nebenbei als Gendarm ( entweder Mouton oder Latour) arbeiten mußten. Ich glaub`so viele gute Weine wie heute hat es noch nie gegeben.

      2. Im Wikipedia-Zitat http://de.wikipedia.org/wiki/Chianti_%28Wein%29
        heißt es „klassisch“, „fruchtig“, „nur relativ kurz lagerbarer Wein“
        Keine Rede von „typisch“.

        Weiterhin heißt es „ab der Weinernte 2006“ dürfen bestimmte Weinsorten nicht mehr verwendet werden und
        „Geschmack: harmonisch, herb, würzig, leichte Tannine mit samtigem Abgang“

        Aha, er war also mal „fruchtig“ und nun ist er offiziell „harmonisch, herb, würzig“.

        Da nicken dann viele Weinfreunde wohlgefällig und trinken zuhause doch lieber den mehr oder weniger guten Discounterwein. ;)
        http://www.mopo.de/mopo-testet/grosser-mopo-weintest-das-taugt-rotwein-aus-dem-supermarkt,7683206,8114332.html

        Dass der aus dem Italien-Urlaub mitgebrachte Stoff zuhause nicht mehr schmeckt, dazu schrieb Captain Cork gerade einen schönen „Besinnungsaufsatz“ http://www.captaincork.com/Weine/der-urlaubsflirt-daheim-nur-ploerre

        Ist mir selber auch schon so ähnlich ergangen. ;)

  7. Hallo Hendrik,
    wieder mal ein toller Beitrag !!! Ich habe auch meine ersten Weinerlebnisse mit Chianti gehabt und habe doch einige Zeit gebraucht um endlich mal einen „Roten“ zu finden der mich Überzeugt hat. Man muss, wie so oft erst mal eine ganze menge “ Saufen “ um den wahren Tropfen zu finden.
    Ihrgend wann werde ich wohl Deine Sendungen nicht mehr ansehen können, das gibt mein Geldbeutel einfach nicht her !!!
    Ich freue mich trotzdem auf jede weitere Sendung!!!

    Lieben Gruß Michael

    1. Wenn ich es richtig verstand ging es dabei um eine Scheinwelt in der nach außen hin stilvolle Einrichtung, gepflegte Umgangsformen, elegante und teure Sportwagen und der große Auftritt gezeigt werden. Im Hintergrund arbeiten aber nur ungelernte Küchenhilfskräfte für einen geringen Lohn und mit dem guten Geschmack ist es nicht so weit her.

      Mit anderen Worten, es geht nicht um Genuss und Kultur, es geht ums vordergründige Beeindrucken. Jetzt muss man nur noch auf der Weinkarte auf den teuersten Wein tippen, wie der schmeckt ist egal, Hauptsache es ist der teuerste. ;)

      Tja, welcher toskanische oder überhaupt italienische Wein ist der teuerste? Oder ist die regionale Herkunft nicht doch egal?
      „Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien“ :)

  8. Hmm – Fussballerweine… wenn wir von reichen (und gleichzeitig stillosen) Fussballern sprechen kann ja nur einer der großen 3 Namen gemeint sein.. Solaia, Sassicaia, Gaja Barbaresco…. keine Frage, alles große Weine. Aus persönlicher Erfahrung jedoch die einzigen welche die Snobs beim Namen kennen und natürlich alle der „brand equity“ entsprechend überteuert. Für mich ist die Toskana immer noch ein endloses Fragezeichen, wurde schon sehr oft positiv wie negativ überrascht. Deshalb Danke für den Tipp Hendrik, hatte beide noch nicht auf dem Radar. Was die grossen Namen betrifft wurde ich am öftesten von Sassicaia entäuscht, hatte bisher ca. 5-6 Gelegenheiten… das beste Erlebnis hingegen war ein reifer Gaja Barbaresco aus Einzellage (Costa Russi) – den werd ich nie vergessen…

    Wenn man nicht so tief im Thema ist wie du Hendrik tut man sich naturgemäss extrem schwer solche Preis-Leistungs Perlen zu finden. Umso wertvoller sind solche Tipps – bitte mehr davon durch alle Stilistiken hindurch…

  9. Chianti gehört von anfang an zu keinen Favoriten bei den Rotweinen

    Den kannte ich leider noch nicht aber das wird sich ändern

  10. Ganz recht … In der Toskana liegen Glanz und Elend sehr nahe beieinander. Es gibt saure, dünne Brühen, die als Begleiter selbst drittklassige Pasta beleidigen, und Weine, die derart überirdisch munden, daß man sich wünscht, die Flasche möge niemals leer werden …

Menu